EM 2016: Platinis stinklangweilige Fußball-Geldmaschine
Aus 16 mach 24? Der Deutsche Fußball-Bund war alles andere als begeistert. Wolfgang Niersbach, heute Präsident des deutschen Nationalverbands, fand als DFB-Generalsekretär im Jahr 2011 klare Worte: „Rein sportlich halte ich die Erhöhung für keine gute Entscheidung.“ Die Kritik galt dem Uefa-Chef Michel Platini und seiner Idee, die Zahl der Teilnehmer zur Fußball-EM 2016 in Frankreich um acht Teams aufzustocken. Die Verantwortlichen waren schnell ausgemacht: „Der Druck auf die Uefa ist von den Verbänden gekommen, die immer an einer EM-Teilnahme geschnuppert haben – Finnen, Schotten, Norweger.“
Heute zeigt sich: Das Aufblähen der EM 2016 könnte ein Segen sein, gerade für den DFB. Die Qualifikation für die Endrunde läuft - und nach drei von zehn Spieltagen stehen die von Niersbach geschmähten Teams allesamt besser da als die in ihrer Gruppe nur viertplatzierten Weltmeister aus Deutschland. Eine Momentaufnahme, geschuldet den vielen Verletzungen nach der WM in Brasilien, sagen Fachleute. Nur jeder achte Teilnehmer einer FAZ-Umfrage glaubt aktuell, dass die EM in Frankreich ohne den Weltmeister starten wird. Doch faktisch steht kein europäisches Team, das in Brasilien im Achtelfinale war, in der EM-Qualifikation auf einem Platz, der zur Endrunden-Teilnahme berechtigen würde.
Bisher trumpfen Länder wie Island, Albanien, Nordirland, Wales, Österreich und Slowakei groß auf – und grüßen als Überraschungserste ihrer Gruppen. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Favoriten wieder Tritt fassen. Aber egal wie man dazu steht: Es ist Dampf im Kessel. Mehr Spannung, als manchem Funktionär der vermeintlichen Top-Verbände lieb ist. RTL jubelt über fast zwölf Millionen Zuschauer, die sich zuletzt das 1:1 der Löw-Elf gegen Irland ansahen. Auch das 0:2 gegen Polen verfolgten über elf Millionen.
Echte Sorgen muss sich wohl keine der sogenannten großen Fußballnationen machen. Dank des von Platini großzügig erweiterten Teilnehmerkreises können sogar noch die Drittplatzierten der Gruppen ein Ticket nach Frankreich lösen. Die Verwässerung kommt so ironischerweise den Etablierten zugute.
Dank des weiten Feldes wird auch die EM in Frankreich als hochgradig harmloses Fußballfest starten. Die Fußball-EM als EU-Integrationspolitik mit anderen Mitteln – das dürfte auch der für den Sport zuständigen EU-Kommissarin Androulla Vassiliou aus Zypern gefallen, die Platini in dieser Woche traf. Nur acht der 24 Nationalteams scheiden in der Vorrunde aus, damit genug Mannschaften für das neu eingezogene Achtelfinale im Turnier bleiben.
Platini präsentiert sich als großer Europäer, dahinter steckt ein simples kaufmännisches Kalkül: Wenn mehr Länder mitmachen dürfen, wird auch mehr Geld fließen. Ob der Plan allerdings aufgeht, wenn die Spannung substanziell nachlässt, ist unter Sportbusiness-Experten umstritten.
Fans der kleinen Nationen profitieren, das Niveau sinkt
„Für die Fans der sogenannten kleineren Fußballnationen ist es sicher eine großartige Sache, jetzt mit den ganz Großen auf dem Platz stehen zu dürfen“, sagt Oliver Michels, Managing Director der Frankfurter Sportmarketingagentur Ajoint. Den Wettbewerb aber werde die Aufstockung verändern. „In der Vergangenheit galt die EM ja sogar als noch härter und kompetitiver als die WM. Ich bin sehr gespannt, ob wir bei der Finalrunde in Frankreich halbwegs ausgeglichene Gruppen haben werden. Eine Verbreiterung des Wettbewerbs zielt auf eine höhere Partizipation, gleichzeitig hat dies aber auch eine Nivellierung zur Folge.“
Parallel zur Erweiterung des Teilnehmerkreises beschloss die Uefa, die TV-Rechte der Qualifikationsspiele zentral zu vermarkten. Beauftragt damit wurde die wie der Verband in Nyon ansässige Agentur CAA Eleven, die sich nach außen wenig transparent darstellt. Zuvor hatten sich die Nationalverbände selbst darum gekümmert – meist mit Hilfe von Vermarktungsagenturen. Das konnte für kleinere Länder eine lukrative Sache sein, wenn sie ihnen in der Qualifikationsgruppe Fußballgrößen wie Deutschland oder England zugelost wurden, die für ein hohes TV-Interesse sorgen. Zudem führte die Uefa eine „Week of Football“ ein – die Qualifikationsspiele finden nicht mehr wie früher an einem, sondern an mehreren Tagen nacheinander statt.
Die gravierenden Änderungen produzieren Gewinner und Verlierer. „Die Vermarktung von Qualifikationsspielen war für viele Sportrechteagenturen in der Vergangenheit ein wichtiger Umsatzfaktor. Die entsprechenden Länderspiele hatten in vielen Märkten einen strategischen Wert, da es sich um Spiele handelt, die Fernsehsendern die höchsten Quoten außerhalb von WM und EM garantieren“, sagt Philipp Grothe, Chef des in London ansässigen Rechtevermarkters Kentaro. Sein Unternehmen war mit diesem Modell in den vergangenen Jahren geschäftlich aktiv. Bei Gruppenauslosungen saß Grothe früher mit Verbandschefs beisammen – als Gruppengegner der Deutschen gezogen zu werden, glich einem Griff in den Honigtopf. „Diese Umsätze fehlen nun und liegen zusammen mit der Champions League, Europa League und der EM-Endrunde ebenfalls bei der Uefa“, sagt Grothe.
Erste Erkenntnisse nähren Skepsis: „Ökonomisch scheint mir das neue Programm zumindest bislang nur begrenzt aufzugehen“, sagt Sportmarketing-Experte Michels mit Blick auf die Qualifikationsspiele. „Das Interesse an den TV-Rechten ist meines Wissens in den meisten Märkten auf die Spiele der eigenen Mannschaften begrenzt geblieben. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass es eine Vielzahl von weniger bedeutenden Partien gibt.“
Uefa steht unter wirtschaftlichem Leistungsdruck
Durchgesetzt wurde die Zentralvermarktung mithilfe von Garantiezahlungen an die Nationalverbände, die Brancheninsider in vielen Fällen als zu hoch bewerten. Die Uefa steht also unter wirtschaftlichem Leistungsdruck, wenn sie die EM-Pläne nicht aus den Überschüssen finanzieren will, die sie mit dem Klubwettbewerb Champions League macht. „Was die European Qualifiers und die Ausschüttung der Einnahmen angeht, sind keine Subventionen notwendig“, teilt die Uefa auf Anfrage dazu mit.
Bei Fußball-Puristen steht auch die Champions League in der Kritik. Vor den Viertelfinals, in denen die großen Klubs endlich unter sich sind, komme kaum Spannung auf. Trotzdem hat es die Uefa geschafft, einen Wettbewerb zu schaffen, der auch global die Fans begeistert und zur Geldmaschine geworden ist. Gut 1,3 Milliarden Euro hat die Uefa in der Saison 2013/14 mit der Vermarktung der Königsklasse eingespielt. Von den ersten 530 Millionen Euro behält der Verband 25 Prozent, darüber hinaus sind es noch 18 Prozent. Der Rest geht an die Vereine, die damit ihre Kader mit Stars aus aller Welt veredeln können. Das alljährliche Duell der Top-Vereine droht so die EM in den Schatten zu stellen.
„In einigen europäischen Ländern geraten die Spiele der Nationalmannschaften gegenüber den Klubwettbewerben in den Hintergrund“, sagt Kentaro-Chef Philipp Grothe. Deutschland sei hier durch den hohen Stellenwert der Nationalmannschaft eher eine Ausnahme. Dass die Uefa versuche, diesen Trend zu stoppen, sei sinnvoll, sagt Grothe. „Über den richtigen Weg dahin gibt es natürlich unterschiedliche Ansichten.“
Platini verspricht, es werde „eine Menge mehr Spaß machen in einer Menge mehr Ländern, wenn 24 Teams mitspielen“. Passend dazu lautet die Uefa-Losung „More Teams, more Drama“. Aber macht´s die Masse wirklich? Vermarkter Grothe ist skeptisch: „Die EM-Aufstockung verwässert die traditionell hohe Qualität der Europameisterschaft“, sagt er. „24 Teilnehmer bei 54 Mitgliedern würde für die Weltmeisterschaft analog bedeuten, dass 93 Teams an der WM Endrunde teilnehmen.“
Vorstoß in neue kommerzielle Dimensionen
Objektiv ist die Frage nach der Spannung nicht zu klären. Ein Isländer wird sie wohl anders beantworten als ein Deutscher. Auch Experte Michels räumt ein: „Die WM in Brasilien hat ja auf beeindruckende Weise gezeigt, dass sogenannte David gegen Goliath Spiele nicht mehr vorhersehbar sind. Genau diese gaben damit dem Wettbewerb eine ganz besonderen Reiz.“
Lange vorbei sind jedenfalls die Zeiten, als ein Kurztrip für den Titelgewinn reichte. Als die deutsche Nationalelf 1972 in Belgien das erste Mal bei der EM siegte, dauerte die Endrunde ganze fünf Tage. Am 14. Juni fanden die Halbfinals in Brüssel und Antwerpen statt. Am 18. Juni fertigten die Deutschen im Finale in Brüssel die Sowjetunion mit 3:0 ab – und konnten sich samt Trophäe wieder auf den Heimweg machen. Die Spiele der Qualifikationsgruppen sowie die Viertelfinals waren zuvor mit Hin- und Rückspiel in den jeweiligen Ländern ausgetragen worden.
Die Fußball-WM war schon damals ein Mega-Event. 1974 in Deutschland dauerte sie dreieinhalb Wochen, 16 Mannschaften waren dabei. Die EM hingegen wurde erst 1996 in England erstmals mit 16 Mannschaften ausgetragen. 20 Jahre später stößt sie in Frankreich in neue Dimensionen vor – auch zeitlich: Auf einen vollen Monat ist die Endrunde dann terminiert und dauert damit so lange wie die WM in Brasilien.
Kein Experte zweifelt indes daran, dass die Europameisterschaft 2016 kommerziell alles in den Schatten stellen wird. 2004 hat die Uefa nach eigenen Angaben rund 853 Millionen Euro eingenommen, 2008 in Österreich und der Schweiz waren es 1,35 Milliarden – und zuletzt in Polen und der Ukraine setzte die Uefa 1,38 Milliarden um. Vor allem die TV-Erlöse steigen als größter Einnahmeposten kontinuierlich, doch auch die Werberechte und das Ticketing spülen jeweils mehr in die Kassen.
Für die TV-Vermarktung hätte die Qualifikation nicht besser laufen können
Mit 51 statt wie bisher 31 Spielen, die vermarktet werden können, ist für 2016 ein großer Sprung nach oben programmiert: „Wir erwarten eine Steigerung der Einnahmen, können aber erst im Laufe von 2015 eine realistische Prognose abgeben“, teilt ein Sprecher der Uefa auf Anfrage mit. Die Zentralverwertung der Rechte durch CAA Eleven folge jedenfalls der Logik der Champions League. „Eine ähnliche Zentralisierung der Rechteverwertung hat in den letzten zwei Dekaden dabei geholfen, den europäischen Klubfußball zu stärken. Wir erwarten nun, dass das gleiche auch bei den Nationalteams in Europa geschehen wird“, so die Uefa-Aussage.
Für die TV-Vermarktung hätte die bisherige Qualifikation mit den vielen Außenseitersiegen wohl gar nicht besser laufen können. Große TV-Märkte, darunter Deutschland und Niederlande, haben die Verträge mit CAA Eleven bereits unterzeichnet. Doch für etliche kleinere Länder läuft am 24. Oktober die Frist aus, in der die nationalen TV-Stationen ihr Gebot abgeben müssen. Das Timing ist optimal: Viele der Länder, wie eben Belgien, Österreich, Tschechien oder Portugal, haben noch gute Aussichten auf eine Teilnahme. Wäre eine Nicht-Qualifikation schon absehbar, sänke das Interesse und der Wert deutlich.
Auch im Sponsoring läuft der Poker um Top-Unternehmen und Konditionen auf Hochtouren. „Von den bis zu zehn globalen Partnern haben noch nicht alle unterzeichnet“, sagt der Uefa-Sprecher. Sicher an Bord sind Adidas, Coca-Cola, McDonalds, Hyundai / Kia, Sharp und Continental – ganz neu dabei ist der Energieversorger Socar aus Aserbaidschan. Einen weiteren Sponsoring-Turbo wird die Uefa im Jahr 2020 zünden, wenn das Event über 13 europäische Länder verstreut ausgetragen wird. Vorteil des Flickenteppichs: Eine Vielzahl von nationalen Sponsorings wird dann möglich sein – zur Freude der Schatzmeister.
Im Bereich der Hospitality, also des Verkaufs von Logenplätzen, sind die Rechte für die EM 2016 bereits regional an unterschiedliche Vermarkter vergeben worden. Für Deutschland, Österreich, die Schweiz, Spanien, die Niederlande und Belgien übernimmt Sportfive exklusiv den Job. Die Preise für die VIP-Karten von 2.000 Euro im Schnitt und 6.900 in der Spitze liegen dem Vernehmen nach zwar auf ähnlichem Niveau wie in Polen und der Ukraine. Doch wird es angesichts der modernen Arenen und 20 Extra-Partien erheblich mehr Plätze zu verkaufen geben als 2012. Der gleiche Hebel gilt selbstverständlich für den Ticketverkauf an Fans auf den normalen Rängen. Insider rechnen so mit Rekordzahlen im Ticketing: „Auch bei eigentlich eher uninteressanten, kleinen Partien werden die Stadien gut gefüllt sein“, glaubt ein Marktkenner.
Zentralisierung der Vermarkung als Chance
Ob gegen Gibraltar oder Georgien: Bevor die Fans der deutschen Fußballnationalmannschaft ob der Langeweile zu zappen beginnen, muss vermutlich eine Menge passieren. „Die guten TV-Quoten der ersten Spiele im neuen Qualifikationsmodus sprechen eine eindeutige Sprache“, sagt Uwe Ploch, Director Summer Sports beim Vermarkter Infront. „Zum aktuellen Zeitpunkt lässt sich keine Übersättigung oder ein Spannungsverlust der Zuschauer durch das umfangreiche Fuβballangebot erkennen. „Der Fan scheint mit dem Wechsel von ARD/ZDF und RTL zwischen Freundschafts- und Qualifikationsspielen keine Schwierigkeiten zu haben. Das belegen die aktuellen Quoten.“
Infronts Zuversicht ist nicht überraschend: Als Vermarktungspartner des DFB hat die Agentur den Auftrag, Werbetreibende im Umfeld aller Qualifikations- und Freundschaftsspiele zu finden. Zugute kommt Ploch bei seiner Arbeit eine Ausnahmeregel, die der DFB der Uefa abverhandelt hat: „Der DFB ist aktuell der einzige europäische Verband, der die kompletten Vermarktungsrechte seiner Heim- und Auswärtsspiele hält.“ Selbst beim jüngsten Qualifikationsspiel in Warschau waren deshalb die elf Werbepartner des DFB rings um den Platz präsent.
Aber auch abseits des eigenen Großkunden sieht man bei Infront die Umstellung des EM-Formats von 16 auf 24 Teilnehmer und die Zentralisierung der Vermarkung eher als Chance: „Ein neuer Vermarktungsansatz bietet auch immer neue Opportunitäten – sei es für Marken oder TV-Sender“, sagt Ploch. „Von der Zentralvermarktung profitieren besonders die kleineren Verbände, die garantierte Einnahmen erhalten, ohne eigene Vertriebsexpertise aufzubauen.“
Mehr Geld, mehr Gaudi, mehr Chancen auf eine EM-Teilnahme im sonnigen Frankreich. Welcher Verbandsvertreter wird da im kommenden Jahr nicht den Arm für die Wiederwahl Platinis als Uefa-Chef heben. Und läuft das Turnier-Highlight 2016 in der Heimat reibungslos, könnten ihm die vielen europäischen Freunde den Weg für noch höhere Weihen ebnen, wenn 2019 der übernächste Fifa-Präsident gewählt wird.
Quelle: Wall Street Journal
ich muss aber sagen, die Qualifikation gefällt mir dieses Jahr bisher. Vielleicht liegts an den spannenden Spielen, die Deutschland bisher geliefert hat.
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